Immer diese Kommentare!
Wieder hat mir einer von Euch auf einen Beitrag geantwortet.
Wieder entsteht ein ganzes Video daraus.
Aber Ihr wollt es nicht anders. Bitte sehr. Hier kommt die Antwort auf die Frage:
Was wäre, wenn die Jakobiten gewonnen hätten?
Lasst uns spekulieren.
>>> Heute: Was wäre, wenn die Jakobiten in Culloden gewonnen hätten?
Vorweg: Ich bin kein Militärexperte. Ich versuche mich allerdings immer tiefer in das Gebiet einzuarbeiten.
Und eine wichtige Lektion habe ich schon früh gelernt: Eine Schlacht entscheidet nicht immer den Krieg.
Wie war das im Fall von Culloden?
War dieser Kampf im Moor kriegsentscheidend?
Oder war es eigentlich der unvermeidliche Schlusspunkt einer Kampagne?
Tauchen wir da mal etwas tiefer ein.
Als Quelle stütze ich mich dabei auf den Historiker Murray Pittock.
Sein Buch über Culloden, sowie einige Interviews geben interessante Hinweise auf das "What if …" rund um die Jakobiten.
Beginnen wir zunächst mit einem Blick auf die Lage in der damaligen Zeit.
Internationale Hintergründe
Noch immer tendieren wir gerne dazu, uns auf Schottland und England zu fokussieren, wenn es um die Jakobiten geht.
Dabei waren die Ereignisse um Culloden herum tief verstrickt in internationale Machenschaften.
Und zwar nicht nur auf Seite der Jakobiten.
Auf Festlandeuropa tobte nämlich seit 1740 der Krieg um die österreichische Erbfolge.
Der bedrohte auch das Kurfürstentum Hannover und damit das Stammland des britischen Königs.
Georg II. musste darum oft zwischen London und Hannover pendeln.
Kleiner Funfact am Rande: Hannover und das United Kingdom wurden noch bis 1837 von der gleichen Person regiert.
Erst durch Queen Victoria änderte sich das.
Aber zurück zur Lage 1745.
Einer der Erzfeinde des United Kingdoms war Frankreich.
Die Franzosen hatten ein enormes Interesse daran, England und später das Vereinigte Königreich zu schwächen.
Darum unterstützten sie die Jakobiten über Jahrzehnte hinweg.
Mittlerweile hatten sich in Frankreich sogar Regimenter aus Iren und Schotten gebildet.
Und die griffen auch im Erbfolgekrieg mit ein.
Wenn wir also über die Auswirkungen der Schlacht bei Culloden sprechen, dann müssen wir dabei auch Europa und die Kolonien im Blick behalten.
Der Feldzug der Jakobiten
Lasst uns kurz den Aufstand 1745 und 46 zusammenfassen.
Der Stuart-Prinz Charles Edward landete am 23. Juli 1745 am Strand von Eriskay.
Nach einigen Diskussionen segelte er weiter zum Festland.
Am 19. August trafen er und sein Gefolge bei Glenfinnan ein und sammelten die Clans um sich.
Mit rund 2.500 Soldaten brachten die jakobitischen Heerführer in den kommenden Wochen Schottland unter ihre Kontrolle.
Auch, weil Georg II. seinen Blick stark Richtung Festland Europa gerichtet hatte.
Charles Edward nahm auch Edinburgh ein und residierte dort.
Doch er wollte dringend weiter. Er wollte die Gunst der Stunde, das Momentum nutzen.
Was ihn aufhielt, war die Mannzahl seiner Armee. Mit den bisherigen rund 2.500 Soldaten war nicht viel zu machen.
Für England musste mehr her.
Wir sehen zum ersten Mal, was bei vielen Kriegen eine große Rolle spielt, aber in den Erzählungen meist hinter den Schlachten zurückfällt:
Die Logistik und Kriegswirtschaft.
Perth, Aberdeen und viele Royal Burghs waren in die Hände der Jakobiten gefallen. Sie setzten dort Verwalter ein, die den Kampf unterstützen sollten.
Geld musste beschafft, Waffen mussten geliefert, Männer trainiert und verpflegt werden.
Und das taten die Jakobiten durchaus konsequent und geschickt.
Gerade Häfen und der Handel waren dabei unheimlich wichtig. Über sie kamen Waffen und teils auch Männer ins Land.
Dennoch waren Geld und Ressourcen ein dauerhaftes Problem.
Eine kuriose Geschichte am Rande:
Charles Edward wollte sogar sein eigenes Geld drucken.
Die Druckplatten waren schon in Edinburgh graviert worden und der Prinz nahm sie mit sich.
Sie liegen heute im West Highland Museum in Fort William.
Nach einigen Wochen des Aufbaus standen 15.000 Jakobiten unter Waffen in Schottland.
Mit dieser Versorgung im Rücken konnte die Kampagne nun nach England erweitert werden.
Ein Heer aus 5.500 Soldaten brach auf und am 8. November überschritten die Jakobiten den Fluss Esk nach England.
Unterwegs schlossen sich einige hunderte englische Jakobiten an.
Das war allerdings viel, viel weniger als erwartet.
Gebraucht hätte es Tausende.
Immerhin verlief der Vormarsch durch England weiterhin siegreich.
Rund einen Monat später standen die Jakobiten in Derby. Gerade mal 180 Kilometer von London entfernt.
Hier hielten die Heerführer Kriegsrat.
Der Prinz wollte weiter, denn der Weg nach London wäre offen gewesen, auch wenn Cumberland im nahen Lichfield lag.
Doch derweil war John Drummond, 4th Duke of Perth, mit rund 3.000 irischen Pikenieren und den Royal Scots in Schottland gelandet.
Eine starke, professionelle Unterstützung für die Jakobiten.
Lord Murray und die Clanführer wollten daher zurück und sich mit ihnen vereinen.
Gegen den Willen von Charles Edward.
Und so drehte das Heer in Derby um.
Dabei hatten selbst die Londoner die Hosen voll. Der 6. Dezember geht als der erste "Black Friday" in die Geschichte ein.
Aus Angst vor einem Anmarsch der Jakobiten brach in der Hauptstadt das Bankwesen zusammen.
Anyway …
Der Rückzug der Jakobiten war gut orchestriert. Ende Dezember befand sich die Armee in Glasgow, wo sie auf dem Glasgow Green campierte.
Die Armee des Prinzen schien weiterhin unbesiegbar: Am 17. Januar schlugen die Jakobiten die Regierungstruppen bei Falkirk.
Wie wir sehen: Die Schlachten liefen immer super. Aber wie stand es um die Kriegswirtschaft, die Logistik?
Am 29. Januar empfahlen Lord George Murray und die Highland Chiefs in einem Brief an Charles den weiteren Rückzug in die Highlands.
Warum?
Zwar stets siegreich, waren dennoch viele Soldaten erkrankt oder desertiert.
Die Kriegskasse war zudem leer und die Angst groß, dass sich die Armee einfach auflösen würde, weil kein Sold mehr gezahlt werden konnte.
Charles Edward musste auch hier zustimmen. Man zog sich weiter zurück, näher an die lebenswichtige Ostküste.
Der nachrückende Cumberland nahm den Jakobiten so Stück für Stück das Land ab.
Am 30. Januar marschierte er bereits in Edinburgh ein.
In den folgenden Tagen positionierte er seine Truppen strategisch an wichtigen Orten und riegelte den Durchgang in den Süden ab.
Er machte sozusagen den Sack zu, die Jakobiten waren im Norden gefangen.
Eine Stadt nach der anderen fiel Cumberland in die Hände.
Und die Blockade durch die Royal Navy ließ nur noch wenige Schiffe zu den jakobitischen Häfen durch.
Ab 20. Februar schlug Charles Edward sein Hauptquartier dann in Inverness auf.
Eine Chronik vermerkt:
"Der Prinz hatte nun im Wesentlichen drei Ziele vor Augen:
1 – Fort Augustus und Fort William einzunehmen
2 – Lord Loudons Armee zu zerstreuen
3 – die Küste in Richtung Aberdeen zu halten, die die einzige Quelle für Nachschub war"
Soweit die Pläne. Gelangen sie?
Zwar konnte seine Armee Fort Augustus erobern, doch nicht Fort William.
Lord Loudon, ein regierungstreuer Campbell, war eine Gefahr im Norden. Er konnte allerdings vertrieben werden.
Two out of three ain't that bad?
Leider schon. Denn die Küste samt Häfen fiel Stück für Stück in Cumberlands Hände.
Das hatte zur Folge, dass Inverness der EINE wichtige Ort der Jakobiten wurde, der noch Zugang zur See hatte und in dem der gesamte Proviant lagerte.
Inverness MUSSTE unbedingt gehalten werden - sonst war der Aufstand am Ende.
Man beschloss daher, sich Cumberland im Osten zu stellen. Bei Culloden.
Der Rest ist traurige Geschichte.
>>> Derby: Das erste "What if?"
Ich habe den groben Ablauf des Feldzugs noch einmal skizziert, weil sich zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Möglichkeiten ergeben haben.
Die Frage "Was wäre, wenn die Jakobiten in Culloden gewonnen hätten",
ist eine ganz andere als "Was wäre, wenn die Jakobiten gewonnen hätten?"
DER Kipppunkt war nämlich nicht Culloden. Sondern Derby. Als die Armee umkehrte.
London war ein klares Ziel. Die Hauptstadt des United Kingdoms zu nehmen, wäre ein deutliches Signal gewesen.
Der Weg dorthin war frei und die Stadt unbewacht.
Man hätte London durchaus einnehmen können.
Und dann?
Die erste Frage lautet: Wäre Cumberlands Armee daraufhin moralisch zerfallen oder nicht?
Denn seine Soldaten waren nicht alle Briten, sondern stammten zum großen Teil aus Festlandeuropa.
Falls sich diese Truppenteile abgewandt hätten, wäre es das zunächst gewesen für König Georg II.
Aber ein so schneller Verfall der Moral wäre unwahrscheinliches gewesen.
Darum wäre Cumberland wohl zwei Tage später in London angekommen. Ein Häuserkampf wäre die Folge gewesen.
Vermutlich hätte hier Cumberland den Sieg errungen.
Zumal die rund 500.000 Bewohner der Stadt nicht unbedingt hinter den Jakobiten standen.
Dennoch hätten die Jakobiten vielleicht genug Zeit geschunden, damit Frankreich substantielle Truppen hätte einschiffen können.
Wie gesagt: Iren und Schotten in ihrem Dienst gab es zu Tausenden. Und es waren auch schon Vorbereitungen getroffen gewesen.
Doch die Kommunikationswege zwischen Frankreich und den Jakobiten waren kaum vorhanden.
Die Heerführer in Derby wussten nicht genug von den konkreten Landungsplänen der Franzosen.
Sonst hätten sie sich vielleicht für den Marsch nach London entschieden.
Aber gehen dennoch wir einmal von einem guten Ende für die Jakobiten aus:
Sie nehmen London ein, Charles Edward krönt seinen Vater und die Stuarts regieren wieder.
Das hätte großen Einfluss auf Europa und die Welt gehabt.
>>> Die internationelen Auswirkungen
Murray Pittock hat in einem Interview die maximal möglichen Auswirkungen folgendermaßen skizziert.
Da die Jakobiten sich freundlich mit Frankreich gestellt hätten, hätte der siebenjährige Krieg ab 1756 nicht stattgefunden.
Infolgedessen wären die Franzosen deutlich stärker in den Kolonien Nordamerikas geblieben.
Aufgrund dieser Bedrohung hätten die britischen Kolonien in Nordamerika aber vielleicht nicht auf den Schutz Englands verzichten wollen.
Außerdem hätte die Krone nicht aus Geldnot hohe Steuern auf Waren ind en Kolonien legen müssen.
Kurz: Es gäbe vielleicht keine Unabhängigkeitsbewegung und in Folge keine Vereinigten Staaten von Amerika.
Ich spreche hier bewusst übrigens von "England", weil ein Ziel der Jakobiten ja die Auflösung der Union gewesen war.
In Schottland wäre die Geschichte daher wohl düsterer verlaufen.
Das sind nun eher meine Gedanken, und nicht die von Pittock:
In den Highlands wären die alten Machtspiele der Clans wiederaufgeflammt.
Die Lowlands und Highlands wären sich weiter fremd geblieben, wenn auch vielleicht im Katholizismus nun zwangsweise vereint.
Die wirtschaftlichen Probleme des Landes wären auch ohne Niederlage bei Culloden gewachsen.
Weder der Zerfall des Clanwesens, noch die Clearances wären auf Dauer verhindert worden.
Ich kann nicht sagen, ob die Stuarts Schottland dann an den Kolonien beteiligt hätten. Das wäre vielleicht ein eigenes "What if".
Aber ohne Zugang zu den Kolonien hätten viele Highlander vielleicht gar keine Möglichkeit gehabt, in der Armee zu dienen.
Das Auswandern wäre schwerer geworden für viele, die in den Highlands nicht mehr ernährt werden konnten.
Vielleicht sehe ich es zu schwarz, aber ich glaube, Schottland hätte insgesamt mehr verloren.
Aber vielleicht habt Ihr da ja andere Einsichten?
Zurück zu Pittocks maximalen Thesen:
Durch die geringeren Ausgaben und mehr Einnahmen in Kolonien hätte Frankreich vielleicht sogar die Finanzkrise in den 1780er Jahren besser bewältigen können.
So hätte der König den Missernten besser entgegentreten können.
Dadurch wäre die Französische Revolution vielleicht ausgeblieben. Und Napoleon hätte anschließend nicht halb Europa unterworfen.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gäbe es damit vielleicht heute noch.
Was für Auswirkungen …
Aber nochmal:
Das sind nun wirklich sehr drastische Szenarien, deren Eintreten wieder von vielen Faktoren abhängig gewesen wären.
Dennoch zeigt sich, wie verwoben die Geschichte ist.
Doch mit der Entscheidung von Derby sind all diese Szenarien erloschen.
Mittlerweile sehen es einige Gelehrte so, dass der Marsch auf London die einzige echte - wenn auch geringe - Chance der Jakobiten gewesen wäre.
Stattdessen: Rückzug. Und nun?
>> Bis Culloden: Taktisch brillant, strategisch unklar
Der Rückzug von Derby erfolgte taktisch geordnet und war brillant durchgeführt.
Wieder verloren die Jakobiten keine wichtige Schlacht.
Aber strategisch gab es nun kein großes Ziel mehr.
Was war ab jetzt der große Plan? Nochmal auf London marschieren im Frühjahr?
Bis dahin hätte die Regierung genug Gegenmaßnahmen getroffen.
Der Moment war vorüber, die Dynamik gebrochen.
Was stattdessen? Schottland halten? Für wie lange? Wozu?
Spätestens mit Ende des Erbfolgekriegs hätte Georg II. sich ganz konzentriert auf die britischen Inseln.
Vielleicht wäre man zu einem Verhandlungsergebnis gelangt. So wie in den Highlandkriegen von 1689.
Doch mit dem Rückzug nach Inverness hatte man nicht mal mehr viel in der Hand.
Die Frage nach dem Ausgang in Culloden ist quasi nicht wirklich wichtig.
In DERBY hätte man alles auf eine Karte setzen können. In CULLODEN hatte man schon keine Karten mehr auf der Hand.
Es wäre nur noch ein Zeitspiel gewesen.
Die Frage: Was wäre, wenn die Jakobiten in Culloden gewonnen hätten, ist also nahezu irrelevant.
>>> Die Niederlage und die Klarheit des Prinzen
Nach der Niederlage bei Culloden hatte Charles Edward Stuart sehr schnell das Handtuch geworfen.
Er befahl in einem Brief den Truppen in Ruthven Barracks sich aufzulösen.
Einige legen ihm das als Feigheit aus.
Ich denke aber, dass Charles Edward ganz klar erkannt hatte, dass es schlicht keine strategischen Möglichkeiten mehr gab.
Nochmal nach London würde er nicht marschieren können. Und ohne Häfen, ohne Städte, ohne Steuern und Soldaten, war die einzige Möglichkeit ein Guerillakrieg.
Doch der wäre vermutlich lediglich in den Highlands zu führen sein. Und selbst dort würde die Unterstützung irgendwann schwinden.
Ich denke, Charles Edward hatte diese Lage erkannt. Und darum gab er den restlichen Streitkräften den Befehl, sich zu zerstreuen.
Er hatte einen sinnlosen Krieg nicht weiter verlängern wollen.
Vielleicht tun wir dem schönen Prinzen oft unrecht. Vielleicht war er auf strategischer Ebene klarer und schlauer, als wir es ihm zugestehen.
Ich glaube, sein großer Irrtum lag früher.
Das gesamte Unternehmen 1745 scheiterte schon an einer falschen Einschätzung der politischen Landschaft in England.
Es gab dort wesentlich weniger Unterstützung und Soldaten für die Stuarts als es der Prinz erhofft hatte.
Übrigens, eines ist mir am Ende der Szenarien klar geworden:
Ich glaube, bei allem, was ich gelesen habe, wäre die Herrschaft der Stuarts weder für Schottland, noch für den Rest der Welt wirklich wünschenswert gewesen.
Was meint Ihr? Könnt Ihr meiner Argumentation folgen?
Oder seht Ihr es ganz anders?
Lasst es mich gerne wissen. Denn wie Ihr seht: Ich lese Eure Kommentare und beschäftige mich mit ihnen.
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Damit sage ich:
Tioraidh an-drasta, agus oidhche mhàth.